Dienstag, 11. September 2007

Biere, Bälle, Bonzen - Stadien.

Warum stehen Stadien da, wo sie stehen und wo stehen sie überhaupt?
Bei anderen Bauten scheint es uns ganz logisch, warum sie da stehen: in Oldenburg, als durch ein Adelsgeschlecht geprägte Stadt, finden wir in der Stadtmitte das Schloss, in Bremen, einer eher bürgerlichen Stadt, das Rathaus, in Oberhausen bis vor wenigen Jahren die Zeche. Diese Dinge prägen das Bild einer Stadt nachhaltig, während Stadien in Deutschland oft durch ihre Randlage in wissenschaftlichen Untersuchungen außen vor bleiben. Mittlerweile sieht man zwar oft die Türme der Flutlichtanlagen, aber dies war ja auch nicht immer so. Innerhalb der mental maps sind Stadien in Deutschland oft noch nicht angekommen - ausser natürlich bei Fußballfans. Anders dagegen in England, wo Stadien zum normalen Stadtbild dazugehören und fest darin eingebunden sind. Wer öfter mal zu Fußballspielen fährt, weiß, dass es vom Bahnhof zum Stadion oftmals noch ein weiter Weg ist – und das nicht nur, weil die Busse und Bahnen überfüllt sind. Anders da in einem Großteil der Städte Englands.
Die Frage, die sich unweigerlich stellt und die ich auch schon eingangs formuliert habe, ist die: aus welchem Grund sind in Deutschland Stadien oft außerhalb der Innenstädte?
Betrachtet man sich Stadien in Deutschland beispielsweise über Google Earth wird man feststellen, dass sie meist in der Nähe von Schrebergärten oder an natürlichen Grenzen liegen. Wie das Weserstadion (erbaut 1909), die AOL-Arena (erbaut 1925, 1953 und 1998) oder das extremste Beispiel: die Allianz-Arena (erbaut 2005), das wie ein Fremdkörper wirkt. Parks oder andere Sportplätze sind hier zu sehen, kaum Wohnbebauung, die Stadien wirken nicht unbedingt wie eingebunden in die Stadtstruktur.




Betrachten wir im Gegensatz dazu einmal fünf bzw. vier Stadien der Premier League in England: den St. James Park in Newcastle (erbaut 1891), die beiden Arsenal Stadien „Arsenal Stadium“/Highbury (erbaut 1913, Foto Mitte rechts) und „Emirates Stadium“/Ashburton Grove (eröffnet 2006, Foto Mitte links), das Stadion vom FC Everton, der Goodison Park (erbaut 1892, Foto unten, oben) und das des FC Liverpool, die bekannte Anfield Road (erbaut 1884, Foto unten, unten).
Was sehen wir hier? Die Stadien eingebunden in die Bebauung, gleich neben den Eingängen – gerade bei den Stadien in Liverpool/Everton und London - Wohnhäuser. In Newcastle haben wir heute gleich ein Studentenwohnheim nebenan und den Eingang zu „China-Town“ gegenüber.




England
1863 wurden in England die ersten Fußballregeln festgelegt und die FA gegründet. Zu dieser Zeit war der Fußball schon ein recht weit entwickeltes Spiel, das auf einer breiten Basis stand. So sind die ersten Vereinsgründungen in England in den 1870er Jahren festzustellen: Aston Villa, Blackburn Rovers, Bolton Wanderers, Everton FC, FC Sunderland und Manchester United. Am 08. September 1888 wurde dann die erste offizielle englische Liga mit elf Mannschaften gegründet.
Einher ging die Entwicklung der Liga mit der Industrialisierung und damit dem Anstieg der Gehälter auch bei Arbeitern, dem Anstieg der Freizeit und vor allem dem Ausbau der Infrastruktur. All dies ermöglicht das Entstehen eines „neuen Menschentyps, der als Fan in die Geschichte eingehen wird.“**
Als nun nicht mehr nur die heimischen Fans an die Sportplätze wandern – wie auch heute kann man sich fürs späte 19. Jahrhundert schon richtige Auswärtsfahrten vorstellen, wo die Schlachtenbummlern ihren Vereinen hinterher reisten - wird es nötig, große Gebäude zu errichten, um nicht nur die Fans für die Dauer von knapp zwei Stunden zu beherbergen – sondern auch um die eigene Vormachtsstellung eindrucksvoll unter Beweis zu stellen: die ersten Stadien entstehen.

Eines der ältesten ist gewiss die Anfield Road in Liverpool, die die ersten acht Jahre nicht Stadion des FC Liverpool war, sondern das vom Everton FC, die sich das Stadion nach einer Zeit nicht mehr leisten konnten (der Besitzer John Houding hatte die Pacht stark erhöht) und aus dem Stadion auszogen (um dann in den Goodison Park umzuziehen). Damit dies aber nicht leer stand, wurde der FC Liverpool gegründet. Die Geburtsstunde einer lokalen Rivalität.
Der Besitzer (John Houding) des Stadions war Brauereibesitzer und Politiker: er hatte also nicht nur Geld, um ein Stadion zu bauen und eine Mannschaft zu unterhalten, sondern auch die politischen Mittel dazu – man kann ihn somit sicherlich als einen der ersten wirklichen Vermarkter von Fußball bezeichnen (Ulli Hoeness-like). Öfter waren Brauereien oder ähnliche Mitfinanciers der Vereine und somit war auch ein finanzieller Background gegeben. Als Manchester United 1902 in eine tiefe finanzielle Krise atürzte, war der Retter der Stunde John H. Davies – ebenfalls ein Brauereibesitzer – der die Schulden tilgen konnte und neun Jahre später „Old Trafford“ bauen ließ. Diese Tatsache lässt sich auch für fast alle anderen 46 Profivereine an der Wende des Jahrhunderts feststellen: fast alle Präsidenten der Vereine waren Kneipiers, Brauereibesitzer oder ähnliches und hatten nicht nur ein Monopol auf die Bewirtung der Gäste innerhalb der Stadien, sondern auch meist zahlreiche Kneipen um die Stadien. (social drinking) Da die Besucher der Spiele auch meist ihre Quartiere um die Stadien herum hatten (die meisten Stadien stehen an Arbeiterquartieren – also) war ums Stadion herum so etwas wie die Lebenswelt/Heimat der Fans.

Deutschland
Während also in England Industrialisierung und „Fußballisierung“ auf dem Vormarsch war, gab es in Deutschland noch immer Streit zwischen Turnern und den so genannten „Fußlümmlern“. Zogen in England Spiele bereits um die Jahrhundertwende an die 100.000 Zuschauer an, so war dies in Deutschland noch nicht der Fall. Zwar gab es auch in Deutschland ab den 1870er Jahren die ersten Vereine, aber waren dies meist kleine Grüppchen, entstanden in den „Engländer-Kolonien“. Eines der ersten Stadien in Deutschland war u.a. das Weserstadion, das 1909 erbaut wurde. Und dies ist für deutsche Verhältnisse recht früh! Da die Turnvereine in den Städten erstens etablierter waren (Streit zwischen Turnern und Sportlern), fielen ihnen eher die günstigen Plätze für die Errichtung von „Sportstätten“ (wenn Turnen auch kein Sport ist, sondern eben Leibesübung) zu. Zweitens kam der Fußball-Aufschwung zu stark verspätet in die Zeit der Hoch“verstädterung“ und konnte keine Plätze mehr finden. Übrig blieben an den Rändern brachliegende Wiesen (Anekdoten über Fußballplätze auf denen in der Mitte ein Baum steht kennt man ja auch heute noch) oder – wie beispielsweise in Oldenburg – Exerzierplätze oder Radrennbahnen. Und hiermit sind ja bis jetzt nur Sportplätze gemeint! Für die Zuschauer waren meist nur Holztribünen oder aufgeschüttete Erdwälle da. Als der Fußball zum Zuschauersport wurde, gab es immer mehr, die sich gegen diese Entwicklung wehrten.
„Der Sport ist in der Hauptsache englischen Ursprungs. Auf seine großen Gefahren und Auswüchse ist von medizinischer und pädagogischer Seite hingewiesen worden. Der Sportbetrieb beeinträchtigt häufig die ernste, geistige Arbeit. Der Kampfplatz, der ja im Grunde dem Zeitvertrieb des Publikums dient, ist unnötig.“***
Erst nach dem ersten Weltkrieg war die Zeit der wirklich großen Stadien gekommen, da war die industrielle Stadtentwicklung aber schon zum größten Teil abgeschlossen.

Vergleich:
Wie eingangs erwähnt, hatte der Fußball in England nicht mit den Anfeindungen wie in Deutschland zu kämpfen. Unterstützt von Industriellen und politischen Einflussnehmern war es möglich, die Stadien zu bauen und auch zu unterhalten und so stadtnah – leicht erreichbar – zu bauen und waren somit Bestandteil der Stadtentwicklung – der Stadionbau gehörte zur von der Industrialisierung angetriebenen Stadtentwicklung also dazu.
Anders dagegen in Deutschland: hier wurde der richtige Zeitpunkt für den Bau der Stadien verpasst. Als der Fußball sich auch als Zuschauersport durchgesetzt hatte, war die Stadtentwicklung so weit fortgeschritten, dass kein Platz mehr an den zentralen Orten war. Ein Grossteil der deutschen Stadien ist zwar durch das erneute Wachstum, Eingemeindungen und ähnliches etwas mehr in die Stadt eingegliedert worden, aber diese enge Einbindung wie in den englischen Städten hat es bis heute nicht gegeben. ****

* Quelle: alle Photos GoogleEarth.
** Steinert, Hajo: Schnellkurs Fußball, Köln 2002, Seite 59.
***Grolms, Friedrich: Erfreuliches und Unerfreuliches vom Koblenzer Stadion, in: Fußball und Leichtathletik 16, 1915, S. 417.
**** Eine wissenschaftlichere, also zitierfähige, Version des Artikels gibt es hier.

1 Kommentar:

Supersonic hat gesagt…

sehr eindrucksvoll, sehr logisch. aber tragisch ist es auch. allein die vorstellung, ein stadion als stadtmittelpunkt zu haben....
heute ist das leider auch nicht mehr zu ändern, denn was alleine ein grundstück mitten in der stadt kostet...das schafft kein verein der welt.
das einzig größere stadion in deutschland das halbwegs, aber auch wirklich nur halbwegs, in der stadt steht, ist die schalke arena. wobei das auch daran liegt, dass hier im pott kein "außerhalb der stadt" existiert.